Es ist genug für alle da

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Es ist genug für alle da

Braderup – Anders handeln – wenn Stephan Schirmer das als Aufruf zum Querschießen verstehen würde, wäre er sicher nicht dabei. Er ist studierter Chemiker, ein „Kopfmensch“, wie er selber sagt. Er überlegt, bevor er handelt. Und bevor er anders handelt, überlegt er zweimal. Und die Idee, auf Kirchenland anders zu handeln, hat er sich sogar drei Mal überlegt. Aber egal, wie er es dreht und wendet, er kommt immer wieder zum selben Ergebnis: Es kann nicht so bleiben wie es ist. Das ist volkswirtschaftlich, ökonomisch, gesellschaftlich und ökologisch Unsinn.

Der Druck auf die Landwirtschaft ist groß

„Die Landwirtschaft ist in Schieflage geraten“, sagt er nachdenklich. Er weiß das, weil er beruflich viel mit Landwirten zu tun hatte. Sie brachten ihm Bodenproben, er untersuchte sie auf den Gehalt von Kalium, Magnesium, Phosphat und Stickstoff und prüfte den pH-Wert. So konnten die Bauern errechnen, welches Düngemittel ihrem Boden guttut und wie viel sie davon brauchten. Stephan Schirmer sieht: Die Investitionen in den Betrieben sind so hoch, die gesetzlichen Anforderungen so streng, der wirtschaftliche Druck so groß, dass viele kaum mehr über die Runden kommen.

Wasser ist das Wichtigste

Aber er sieht auch das andere: die Monokulturen, der Maisanbau für die Biogasanlagen, die ständige, kostspielige Nachregulierung der Bodenqualität durch die Düngemittel. Er sieht, dass Wassergräben zugeschüttet und Knicks abgeholzt werden, um jeden Zentimeter Land nutzen zu können. Er sieht, dass das natürliche Gleichgewicht aus den Fugen gerät und die Kosten, es wieder herzustellen, gleichermaßen. „Ich werde ärgerlich, wenn Lebensgrundlagen leichtfertig in Gefahr gebracht werden“, sagt er. „Wasser ist das Wichtigste. Es kann durch nichts ersetzt werden. Und natürlich kann ich mit chemischen Mitteln und physikalischen Verfahren verschmutztes Wasser weitestgehend wieder reinigen, aber wie dumm ist es volkswirtschaftlich eigentlich, die Folgen einzudämmen, anstatt an der Ursache zu arbeiten?“

Gemüse statt Mischwirtschaft

Seine Idee ist so einfach wie brillant: Mit Mischwirtschaft für Tierhaltung und Futtergewinnung lässt sich von 50 Hektar ein Deckungsbeitrag von 30000 Euro erzielen. Mit Gemüseanbau wäre für denselben Deckungsbeitrag nur ein Hektar nötig. „Gemüse ist arbeitsintensiver“, sagt er, „deswegen scheuen wohl so viele davor zurück. Aber der Gewinn pro Flächeneinheit ist ungleich höher.“ Die intensive Tierhaltung gerade in Nordfriesland führe zu einer Erhöhung der Treibhausgase, die für Tierhaltung benötigte Fläche stehe in schlechtem Verhältnis zum Energie-Ertrag. „Da läuft was schief“, sagt Stephan Schirmer, „und kaum keiner will sich ändern.“

Der Kirchenhof: ein Pächter für alles

Gemeinsam mit der Kirchengemeinde Braderup-Klixbüll will er jetzt das Projekt „Kirchenhof“ auf den Weg bringen. Aus einem Stiftungsvermögen möchte die Kirchengemeinde einen Hof mieten und das gesamte Kirchenland mit diesem einem Pächter übergeben. Der darf das Land – und das sind immerhin 52 Hektar – mit bestimmten Vorgaben bewirtschaften. Gemüseanbau nach ökologisch-nachhaltigen Kriterien ist vorgesehen, damit auch die Abnahme des Angebauten regional geregelt ist, soll eine Art Genossenschaft mit Namen „SoLaWi“ gegründet werden, die Erfolg und Risiko mitträgt. Auf als Ackerland nutzbaren Flächen könnte Miscanthus als Dauerkultur angebaut werden. Ein Hektar davon zu Pellets verarbeitet ersetzt ungefähr 8000 Liter Heizöl. Darüberhinaus steigert Miscanthus das Bodenleben, verbessert den Humusgehalt und kommt ohne Pestizideinsatz aus.

Das Projekt ist ökonomisch und ökologisch vielversprechend

Stephan Schirmer ist sicher, dass sich auf dem Kirchenhof gut arbeiten und leben lässt, dass das Projekt ökonomisch und ökologisch vielversprechend ist. Zudem ist der Kirchenhof auch für die Kirchengemeinde eine Alternative: Statt vieler einzelner Pachtverträge, deren Bearbeitung mühsam und aufwändig war, hat sie es dann nur noch mit einem Pächter zu tun und kann gleichzeitig ihrer Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung besser gerecht werden als sie das im Gegenüber zu den einzelnen konventionellen Betrieben könnte.

Immer mehr macht keinen Sinn

 Anders handeln – Stephan Schirmer wird in diesem Jahr 50 Jahre alt. Sein Leben lief bisher recht gradlinig, er ist in Braderup aufgewachsen und kehrte nach dem Studium im baden-württembergischen Isny zu seinen Wurzeln zurück. Chemie und Biologie waren seine Leistungskurse, es war folgerichtig, Chemie zu studieren. Sie ist für ihn „Handwerkszeug“, um das Leben, die Biologie zu ergründen. Sein Forscherdrang hat nie nachgelassen: Er möchte verstehen, was geschieht, ist ein Kopfmensch mit dem Herzen auf dem rechten Fleck. Als Kopfmensch kann er auch unternehmerisch denken, Wirtschaftlichkeit ist für ihn kein Luxus, sondern eine der Voraussetzungen, um in diesem Land zu überleben. Seit 2008 ist er Mitglied im Kirchengemeinderat, klug und umsichtig begleitet er die Entscheidungen und hat auch einen Blick über den Tellerrand der eigenen Gemeinde. Der nahende 50. Geburtstag ist weder Anlass noch Ursache für sein Engagement. Dennoch macht er ihn nachdenklich, auch im Blick auf die eigenen, körperlichen Ressourcen. Vermeintliche Sachzwänge sind wie ein Hamsterrad, aus dem man schneller und schneller werdend zuletzt kaum mehr ausbrechen kann. „Es macht keinen Sinn, möglichst viel zu verdienen“, sagt er. „Es ist genug für alle da.“

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