Erk Paulsen entspricht nicht den gängigen Klischees eines Sozialpädagogen. Man sagt dieser Berufsgruppe gerne nach, dass sie viele Worte mache, aber selten etwas zustande bringe. Man witzelt über eine gewisse Diskutierfreudigkeit, die in nicht enden wollenden Debatten ende. Die professionellen Helfer werden gerne durch den virtuellen Kakao gezogen, sie stellten allerhand intelligente Fragen, heißt es, verstünden es aber geschickt, sich mit verklausulierten Antworten, die ihren Namen nicht verdienen, aus der Affäre zu ziehen.
Wo manche Arbeit ins Leere läuft….
Nichts, aber auch gar nichts davon trifft auf Erk Paulsen zu. Der 50-Jährige ist eher wortkarg, Gefühlsduseleien sind ihm fremd, und der dunkelblaue Bluterguss unter dem rechten Mittelfingernagel zeigt, dass er gerne anpackt, und zwar so richtig, nicht mit Samthandschuhen oder so. Erk Paulsen leitet die Bahnhofsmission des Diakonischen Werks (DW) Husum. Er ist zuständig für die Wohnungslosenhilfe – und das seit nunmehr 23 Jahren. Wenn man ihn sieht, denkt man, es müsse ihm schwerfallen in diesem Bereich, wo so manche Arbeit ins Leere läuft und wo anderes, was gut und richtig und möglich wäre, an Vorgaben oder nicht änderbaren Umständen scheitert. Dem ist nicht so. Aber wenn Erk Paulsen spricht, dann sagt er, was Sache ist. Und nie, wirklich niemals, bewirft er andere mit Schmutz, nicht die Politiker und nicht die Wohnungsbesitzer oder Hauseigentümer und schon gar nicht seine Klienten, die Menschen, die an ihn gewiesen sind und er an sie. Ihnen zu helfen, das ist sein Amt und seine Aufgabe.
Die Arbeit hat sich verändert
„Früher war die Arbeit anders“, sagt er nachdenklich. Geboren und aufgewachsen in Niebüll fand er über die kirchliche Jugendarbeit den Zugang zum Glauben. Und nach der Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann begann er, in Hamburg am Rauen Haus zu studieren. Seit 1996 ist bei der Diakonie, seit dieser Zeit kümmert er sich um Wohnungslose. „Damals“, so sagt er, „hatten wir es überwiegend mit wohnungslosen Männern zu tun, die sich teilweise auch bewusst für das Leben auf der Straße entschieden hatten.“ Sie brauchten nicht viel, nahmen höchstens mal das Winternotquartier, eine Dusche oder einen warmen Kaffee in der Tagesstätte, die es damals noch gab, in Anspruch. Dann zogen sie weiter und kamen irgendwann mal wieder – oder auch nicht.
Wohnungs-Not ist ein Not-Fall
Heute ist die Arbeit härter. Betroffen sind zunehmend auch Frauen, sogar Rentnerinnen, die nach dem Tod des Partners nicht mehr genug Geld haben, um das eigene Haus oder die vertraut gewordene Wohnung zu halten. Viele Hilfesuchende kommen aus dem Niedriglohn-Sektor: Das Geld, das sie verdienen, reicht einfach nicht mehr aus, um die Miete zu bezahlen. Viele haben Schufa-Einträge, die ihnen den Zugang zum Wohnungsmarkt erschweren. Internet-Käufe, Abo-Verträge – und schwups ist die Überschuldung da und ein Ausweg aus eigener Kraft kaum mehr möglich. Suchtproblematiken, psychische Probleme, Trennung und Scheidung – Erk Paulsen hat es täglich mit Wohnungs-Notfällen zu tun, mit Menschen, die dringend eine Wohnung suchen, aber keine finden – unter anderem, weil der Wohnungsmarkt solchen Wohnraum schlicht nicht mehr hergibt.
Handeln, helfen, begleiten
Aber es kommt Erk Paulsen nicht über die Lippen, und es ist ihm nicht zu entlocken, dass die Politik daran schuld sei. Gerne spricht er mit Politikern oder Verwaltungsbeamten, erklärt ihnen die Lage, wirbt um Verständnis. Noch lieber spricht er mit Vermietern, mietet im Auftrag der Diakonie Wohnraum an, den er weitergeben kann. Handelt. Hilft. Begleitet. „Früher waren wir viel mehr unterwegs, haben Wohnungslose auf der Straße getroffen, konnten fragen, was fehlt, konnten aushelfen, wenn etwas gebraucht wurde. Das hab ich gern gemacht.“
Manche müssen das Wohnen erst lernen
Heute ist das alles komplizierter und auch großräumiger. Erk Paulsen hat ein Büro und ein Sprechzimmer in der Bahnhofsmission, er betreut mehrere Unterkünfte im südlichen Nordfriesland. Hier wohnen Menschen, die „ordnungsrechtlich untergebracht“ sind. Der Staat ist verpflichtet, solchen Wohnraum vorzuhalten – leider ist dieser Wohnraum oft auch entsprechend, und das Zusammenleben der Bewohner mit ihren so eigenen Hintergründen und Traumata ist manchmal nicht leicht. Immer und immer wieder ist es das Ziel von Paulsen, seinen Leuten eigenen Wohnraum zu vermitteln, sie zurück in die Eigenverantwortlichkeit zu führen, ihnen eine Perspektive zu geben, sie dabei zu unterstützen, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen. „Hilfe zur Selbsthilfe, das ist es, was ich leisten kann und will“, sagt er. Und diese Hilfe zur Selbsthilfe ist tätige Hilfe: Wenn jemand ihn darum bittet, dann begleitet er Klienten beim Gespräch mit einem möglichen Vermieter, er geht auch mal mit zum Amt oder zum Jobcenter. Nicht, um da irgendetwas zu regeln, sondern um den anderen zu unterstützen, ihn zu begleiten, ihn zu stärken – vielleicht kann er es nächstes Mal alleine. Und dann besucht er seine Leutchen, die oftmals das Wohnen erst wieder lernen müssen: Manchen fällt es schwer, Rechnungen und Mahnungen zu öffnen und darauf zu reagieren, andere haben Probleme mit Hygiene oder Ordnung, das Miteinander in größeren Wohneinheiten bedeutet gegenseitige Rücksichtnahme und das Einhalten von geltenden Regeln.
Samthandschuhe sind kein gutes Arbeitsgerät
Niemals verurteilt der Diakon. Zuhören und begleiten, das ist, was er gut kann. Das ist auch das – und das hat die Erfahrung ihn gelehrt – was am nötigsten ist und am ehesten hilft. Man kann sich nicht vorstellen, dass er im Gespräch sein Gegenüber mit Samthandschuhen anfasst. „Da muss auch was kommen“, sagt er, „der andere muss was wollen. Dann kann ich auch helfen.“ Da nützt das Reden um den heißen Brei nichts, dafür ist Wohnungsnot viel zu existentiell. Erk Paulsen weiß das. Und er weiß, dass er nicht jedem helfen kann. Aber wenn es gelingt, dann erfüllt es ihn mit Stolz und Freude und Glück.
“Ich überlege genauer, was ich wirklich brauche.”
Es ist nötig, sich gut abzugrenzen. Nur ein starkes Gegenüber kann Halt geben. Kraft zieht Erk Paulsen unter anderem durch den anderen Teil seiner Arbeit, durch den Dienst am Bahnsteig. Da gilt es Reisende zu begleiten, einfach mal was tragen oder beim Umsteigen helfen, eine Auskunft geben oder darum, das freundliche Gesicht zwischen dröhnenden Lautsprechern und quietschenden Zugtüren zu sein. Auf dem Bahnsteig, da gibt es auch für die Helfer Zuspruch und Ermutigung, jeder Bahnsteigdienst ist ein Dienst am Nächsten, seine Ehrenamtlichen sind zuverlässig, kreativ und seit vielen Jahren dabei. Das Team stärkt sich gegenseitig den Rücken.
Anders handeln, was bedeutet das Motto des Kirchenkreises für ihn? „Ich hab durch meine Arbeit ein anderes Verhältnis zu Geld und Luxus gewonnen“, sagt er nachdenklich. „Ich überlege genauer, was ich einkaufe und ob ich das wirklich brauche. Ich muss nicht immer das neueste haben.“