#andershandeln

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#andershandeln

Ich brauchte ein bisschen Zeit, mich an die Jahresthemen des Kirchenkreises zu gewöhnen. Was bedeutet das, wenn ein Kirchenkreis sich ein Thema setzt? Müssen dann alle mitmachen? Gibt es dann keine anderen Themen mehr? Ist das so etwas wie eine Corporate Identity, auf die alle – die Gemeinden, die Christen, die Dienste und Werke, die Einrichtungen und die Mitarbeitenden – eingeschworen werden? Ich war skeptisch. Für mich klang das wie “auf Linie bringen”. Ich mag den Einheitsbrei in der Kirche nicht. Wenn alle sich einig sind, bin ich automatisch dagegen. Ich kann nichts dafür, das war immer schon so.

Bekenntnisse einer Spät-Pubertären

Anders handeln dagegen – dieses Jahresmotto sprach mich sofort an. Ich bin in Nordfriesland in einem kleinen Dorf auf der Geest aufgewachsen. Daran wird’s liegen: Dieses Dorf, es war so eng. Jeder wusste alles über jeden. Wer anders handelte, wer sich nicht an die Regeln hielt, wer Neues wagte, wurde sprichwörtlich wie die Sau durchs Dorf getrieben. So etwas führte in die Isolation. Vor nichts hatten die Menschen so viel Angst wie vor dem Gerede der anderen. Ich konnte das schlicht nicht ertragen, provozierte, störte, lärmte und verließ den Ort, kaum dass ich volljährig war.

Herrje, schon wieder ein Anderer!

Aber natürlich hat auch dieses Jahresthema Konnotationen in der Kirche. Es ruft die Rechthaber auf den Plan, diejenigen, die genau wissen, was falsch läuft und was anders sein muss, damit es richtig wird. Auch die Betroffenheits-Fraktionen melden sich zu Wort: Man müsse sich abkehren von allem Unchristlich-Gierig-Hämisch-Neidischen und endlich zu wahrer Menschlichkeit zurückfinden. Missionare, die ewigen Religionslehrer, Veganer und Windmühlen-Verächter, die Getränkedeckel-Sammler, die Folie-vom-Einwickelpapier-Trenner, die Spinnen-Rausträger, die Ex-Diesel-Fahrer, die Socken-Recycler und natürlich die Alt-Pupertären wie ich – wir alle finden uns irgendwo wieder beim Andershandeln. Und wenn wir nicht aufpassen, blockieren wir uns gegenseitig und kommen kein Stück voran.

Ich weiß, Zynismus soll in der Kirche nicht sein. Ich schäme mich ja auch ein bisschen. Aber ich war und bin auf der Suche nach Nischen. Wie können wir uns erlauben, anders zu handeln, anders zu denken, anders zu sein? Es ist ein langer Weg vom Lippenbekenntnis zur Gemeinschaft in Freiheit und Respekt.

#andershandeln

Mein Beitrag zum Jahresthema findet sich bei Twitter und Instagram. Die Tageslosung mit Bild und im Impuls gab es schon länger, mit dem Jahresmotto habe ich den Hahstag #andershandeln eingeführt, und der tägliche Refrain lautet “Heute mal……” Was ist heute mein Impuls, anders zu handeln? Was gibt mir die Bibel als Auftrag für diesen Tag mit? Diese Fragen beschäftigen mich seitdem jeden Morgen. Theologisch lauter will ich bleiben, Moralisierungen vermeiden und trotzdem auch politisch klar und mutig sein – es ist nicht immer leicht. Und ich finde es auch manchmal zu seicht, hätte es gerne konkreter. “Heute mal zehn Kilometer Fahrradfahren”, zum Beispiel. Oder “Heute mal etwas für eine gemeinnützige Organisation spenden”. Oder “Heute mal den ganzen Tag mit einer Kaffeetasse auskommen”. Ach, es gäbe doch so viele gute Anregungen. Und es täte meinem Rechthabergeist so gut, wenn ich endlich mal all den Unwissenden da draußen den Weg weisen dürfte…..

Die Bibel bringt auf Spur

Aber das ist es, was ich an den Tageslosungen und damit an der Bibel und so liebe: Sie bringt mich auf Spur, sie lässt meiner Besserwisserei keinen Raum. Sie hat keine eindeutigen, leichten Antworten. Sie weiß nicht, was ein Fahrrad ist, und Jesus hatte keine Meinung zur Mülltrennung. Nur in einem ist sie eindeutig: Liebe deinen Nächsten. Liebe deine Nächste. Liebe deinen Mitmenschen, einerlei welchen Geschlechts und welcher Nation. Und ich könnte es jeden Tag predigen, und es wäre doch jeden Tag anders. Es ist mit jedem Anderen anders, weil jeder anders ist. Und immer liegt mein Fokus auf diesem konkreten Anderen, den Jesus so liebt wie mich. Es fällt mir schwer, die großen politischen Ziele zu verfolgen. Ich bewundere die Anderen, die da anders sind als ich.

Analog oder digital: Leben zwischen den Welten

Wir sind im Netz eine kleine, feine Gemeinschaft geworden, und meine Impulse werden gerne gelesen und wertgeschätzt. Wir sind eine andere, eine digitale Gemeinschaft. Toleranz und Respekt sind hier besonders wichtig, das Handeln gehört eher in die analoge Welt, in der wir ja auch leben. Vielleicht brauchen wir diesen digitalen Schutzraum vor den ewigen Handlungsanforderungen: Wir holen uns Kraft im Netz für das Leben da draußen. Wir Netz-Christinnen und Christen machen einander Mut für den Alltag. Manchmal gönnen wir uns eine Spur von Zynismus, weil das da draußen einfach alles zu grotesk ist und weil wir den Strukturen von Macht und Hierarchie schlicht nicht gewachsen sind.

Irgendwie …… anders

Anders handeln – ja, aber nicht immer. Anders reden – ja, aber nicht aus Prinzip. Anders glauben – ja, aber passend zu deinem Lebensfluss. Anders leben, aber nur, wenn anders besser ist. Anders lieben, ja, aber nur, wenn wir den anderen in seiner Andersartigkeit lieben. Anders sein – ja, unbedingt, jeden Tag und penetrant darauf bestehen, dass jedes, aber auch wirklich jedes Menschenkind ein Gotteskind ist, dass geliebtzuwerden verdient hat.

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