Nicht in meinem Namen

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Nicht in meinem Namen

Jennifer Timrott hat eine etwas ungewöhnliche „Schatzkiste“: Da ist eine leere Bonbon-Tüte drin, abgelaufen 1984, eine Sonnenmilchflasche mit Lichtschutzfaktor 5, ein Produkt, das es seit 40 Jahren nicht mehr gibt. Ihr Lieblingsstück ist eine Lebensmittelschale mit eingeprägten Verfallsdatum von 1970. „Da war ich ein Jahr alt“, sagt sie. „Inzwischen habe ich Abitur gemacht, studiert, bin etliche Male umgezogen – und dieses Ding hier ist quasi unversehrt.“ Dabei dreht sie die Schale in den Händen, die nur an der Ecke ein kleines Loch hat, als habe ein Vogel hartnäckig die letzten Reste herausgepickt.

Die Unternehmen müssen umdenken

Die „Schatzkiste“, das sind ihre Strandfunde. Man kann sagen: Sie hat das Plastik auf dem Kieker. Wenn Jennifer Timrott am Wasser spazierengeht, dann sieht sie zwischen all dem Schönen, das da hin gehört auch das viele Unschöne, das da nicht hingehört. „Ich hab die Nase immer am Spülsaum“, sagt sie. Sie fotografiert, sie dokumentiert und sie sammelt. Ihr reicht es mit der Verschmutzung der Meere. Sie will schlicht nicht mehr daran beteiligt sein, dass das Zeugs, das ja quasi unkaputtbar ist, über Generationen hinweg von einem Strand zum nächsten gespült wird. „Nicht in meinem Namen“ – so überschreibt sie die Kampagne „Küste gegen Plastik“, die sie gemeinsam mit ihrem Mann Frank und anderen ins Leben gerufen hat. Der Knackpunkt ist, nicht allein beim Verbraucher für die Vermeidung von Plastikmüll zu werben, sondern auch Produzenten und Handelsketten zum Umdenken zu bewegen.

Müllsaum statt Spülsaum

Wie sie dazu gekommen ist? „Wir haben vier Jahre lang auf Hooge gelebt“, erzählt die gelernte Krankenschwester, Journalistin und Fachfrau für Multi-Media-Kommunikation. Zwei große Herbststürme setzten im Jahr 2013 die Hallig landunter. Und eines Tages nahm sie ihre Gummistiefel und stapfte durch das Wasser zur Halligkante. Da sah sie dann die „Bescherung“: Zwischen Holzteilen, Algen und aus den Lahnungen geschwemmtem Stroh schwamm der Dreck der Zivilation, und zwar in solchen Massen, dass es für die heute 50-Jährige nicht mehr hinnehmbar war. „Das war heftig“, erzählt sie, „das konnte ich nicht mehr ignorieren.“

Die Versuche, selbst auf Plastik vollständig zu verzichten, frustrierten sie. Das Zeugs war einfach überall: Jede Gurke war eingeschweißt, Milch und Margarine, Shampoo, Deo und Waschpulver – alles in Plastik verpackt, selbst Bilderrahmen und Möbelstücke. Wer ernsthaft Kunststoffe vermeiden will, muss auf vieles verzichten, stellte sie fest. „Es war super aufwändig“, sagt sie rückblickend. „Und ich hab mich gefragt: Was bringt das eigentlich?“

ReplacePlastic – die App für den Meeresschutz

Ein Vortrag von Werner Bothe (Plastic Planet) im Christian Jensen Kolleg inspirierte sie. Sie schrieb Emails an die Unternehmen, bat freundlich, doch das Verpackungsmaterial zu überdenken und sich die Verschmutzung der Meere bewusst zu machen. Aber es war immer die gleiche Antwort: Wir wöllten ja, aber der Verbraucher will das nicht. So kam das. Nicht in meinem Namen. Sie gründete einen Verein. Sie erstellte eine Facebook-Gruppe. Sie entwickelte die App ReplacePlastic, die inzwischen mehr als 40000 Mal heruntergeladen wurde. Mit ihr können Käufer unnötig verpackte Produkte scannen, die App verschickt dann automatisch eine Mail an den Hersteller oder Händler. „Nicht in meinem Namen“ ist die Botschaft. Wir wollen das nicht, und das Produkt gefiele uns viel besser, wenn es ohne Plastik verkauft würde.

Normalerweise muss sie sich nicht verbiegen und tut es auch nicht. Mit Ehemann Frank betreibt sie einen kleinen Laden in St. Peter-Ording, in dem die beiden Fotos, Zeichnungen und Gemälde verkaufen, die ihre Liebe zum Meer zum Ausdruck bringen. Jennifer Timrott ist authentisch, und das macht sie so sympathisch. Sie verbog sich auch nicht, als sie 2016 die „Goldene Bild der Frau“ bekam, eine Auszeichnung für starke Frauen, die ein soziales Projekt erkannt haben und sich dafür engagieren. Da stand sie zwischen Stars und Sternchen, zwischen Festroben und neben „Bergdoktor“ Hans Siegl und nahm ihren mit 10000 Euro dotierten Preis entgegen. „Damit konnten wir die App finanzieren“, sagt sie lachend, dafür hat sie das Geglitzer tapfer ertragen.

Es geht um die Würde des Lebensraums

Die Kampagne ist groß geworden, und sie bewegt tatsächlich etwas. Bei vielen Handelsketten kann man heute Gemüse unverpackt kaufen und darf sie auch ohne Tüte auf das Warenband legen. Produzenten entwickeln Verpackungen aus Papier, das ist nicht gut, aber besser. Es gibt eingelaserte Kennzeichnungen, die die winzigen Plastikaufkleber ersetzen, die so gerne durch die Gegend fliegen. „Wir prüfen täglich 2000 Einsendungen“, sagt Jennifer Timrott. Gemeinsam mit ihrem Mann Frank hakt sie nach, schreibt Mails, lädt ein, informiert. Und sie hält Vorträge, immer mehr und immer öfter und gerne auch bei Kirchens. „Da gibt es eine Schnittmenge der Werte“, sagt sie. „Es geht mir ja um die Würde des Lebensraums.“

Anders handeln

„Anders handeln, das bedeutet für mich, noch mehr Druck zu machen“, sagt sie. „Die App ist ein smarter und alltagstauglicher Weg, die Firmen über den Kundenwunsch nach weniger Plastik zu informieren.“ Man – und damit meint sie den Standort Deutschland – müsse mit gutem Beispiel vorangehen, anstatt weiterhin den eigenen Müll zu exportieren in Länder, die das Problem gar nicht händeln können. „Ich finde das Wattenmeer faszinierend“, sagt sie, „da kribbelt und krabbelt es in unendliche Fülle.“ Sie liebt das Meer wirklich. Es zu schützen ist ihre Lebensaufgabe geworden.


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