Mit der Verantwortung ist das so eine Sache: Manchem fällt sie ungewollt zu, ein anderer übernimmt sie freiwillig, wieder andere drücken sich hartnäckig so gut es geht. Verantwortung ist oft eine Bürde, manchmal auch eine schöne Aufgabe. Immer ist sie etwas, was wir schultern und stemmen, sie zu tragen bedarf gewisser Kraft. Patricia Schmidt-Knäbel hat diese Kraft, das weiß sie. Sie weiß auch, woher sie die Kraft nimmt, weiß, wo sie auftanken kann. Sie trägt Verantwortung, ist aber eigentlich nie in Sorge. Und das ist auf ihrem Hintergrund wirklich hohe Lebenskunst.
Standleitung zu Gott
„Ich hatte schon als Jugendliche eine Standleitung zu Gott“, erzählt sie. Dabei lacht sie fröhlich, als sie hört, was sie da sagt. Beten sei das eigentlich nicht gewesen, Händefalten und stillsitzen habe sie dafür nicht gebraucht. Es war eher ein Reden mit Gott, das für sie genauso wichtig war wie das Gespräch mit ihren Freundinnen. Geboren ist die 52-Jährige in Hessen, sie hat dann als Kind in Namibia gelebt, bis sie zwölf war. Ihr Vater leitete dort ein Internat. Die Rückkehr in das enge, graue Deutschland fiel ihr nicht ganz leicht.
Viel zu früh trug sie viel zu viel Verantwortung, heute schüttelt sie nachdenklich darüber den Kopf. Die Mutter wurde krank, die Schwester zog zu Patricia, als die Eltern sich scheiden ließen – und plötzlich sah sie sich 19jährig in der Verantwortung für die Familie.
Sie fing an, Theologie zu studieren, „bis Altgriechisch uns trennte“, sagt sie. Aber in Wirklichkeit, das weiß sie heute, hatte sie den Kopf gar nicht frei für so ein großes Projekt. Sie diagnostiziert sich selbst ein „extremes Helfersyndrom“ – das ist, was aus Verantwortungsbewusstsein werden kann, wenn da niemand ist, der einen schützt. Es ist nicht leicht, Grenzen zu ziehen. Es fällt ihr immer noch ein bisschen schwer.
Viel zu früh trug sie viel zu viel Verantwortung, heute schüttelt sie nachdenklich darüber den Kopf. Die Mutter wurde krank, die Schwester zog zu Patricia, als die Eltern sich scheiden ließen – und plötzlich sah sie sich 19jährig in der Verantwortung für die Familie. Sie fing an, Theologie zu studieren, „bis Altgriechisch uns trennte“, sagt sie. Aber in Wirklichkeit, das weiß sie heute, hatte sie den Kopf gar nicht frei für so ein großes Projekt. Sie diagnostiziert sich selbst ein „extremes Helfersyndrom“ – das ist, was aus Verantwortungsbewusstsein werden kann, wenn da niemand ist, der einen schützt. Es ist nicht leicht, Grenzen zu ziehen. Es fällt ihr immer noch ein bisschen schwer.
Wer kann, der muss
Das mag an ihrer Herkunft liegen, über die sie nicht ungefragt spricht. Patricia Schmidt-Knäbel stammt aus einem alten deutschen Adelsgeschlecht. „Ich komme aus einer Familie, die immer Verantwortung getragen hat“, sagt sie, „das bringt die Verantwortung mit sich, es auch weiter zu tun.“ Standesdünkel liegt ihr fern, manche Erwartungshaltung an sie als “Adlige” und Vorurteile von Generationen sind ihr eine Last. Und trotzdem: Sie kann das nicht einfach ablegen wie einen Mantel, der nicht mehr passt. “Mehr Sein als Schein”, gab ihr der Großvater mit auf den Weg, das prägte sie. Wer kann, der muss, sagt man bei uns im Norden. Patricia Schmidt-Knäbel kann, und sie tut.
Zur Kirchengemeinde kam sie als Elternvertreterin über den Kindergartenbeirat. Sie hatte vorher eine Ausbildung zur Fremdsprachlichen Wirtschaftsassistentin mit den Sprachen Englisch, Französisch und Spanisch absolviert, war aber der Liebe wegen nach Husum gezogen. Über den Beirat rutschte sie in den Kirchengemeinderat, über den Kirchengemeinderat in die Synode, über die Synode in den Kirchenkreisrat. Und jetzt leitet sie den Gesamt-Ausschuss der frisch-fusionierten Kirchengemeinde Husum. „Wer sollte es denn sonst tun?“, fragt sie. Sie riss sich nicht um die Verantwortung, die fiel ihr zu. Aber dann zögerte sie auch nicht, setzte sich ein, erhob ihre Stimme, verschenkte ihr Engagement, auch dann noch als sie krank wurde.
Leben auf Messers Schneide
2008 erhielt sie die Diagnose: idiopatische Lungenfibrose. Idiopatisch meint, dass die Ursache für die Erkrankung unbekannt ist, Lungenfibrose bedeutet einen autoimmunen Entzündungsprozess des Lungengewebes, die zur Vernarbung desselben führt und immer weiter fortschreitende Atemnot mit sich bringt. Die Krankheit sei lethal, sagte der Arzt, todbringend. Das zu begreifen, habe lange gedauert, erzählt Patricia Schmidt-Knäbel. Jede Erkältung, jeder Infekt brachte ihr einen neuen Schub ein. Puls-Oximeter und bald auch das Sauerstoffgerät gehörten zu ihrem Alltag. Der Radius verengte sich, die Zeit verrann und wurde kostbar, so kostbar. Ihre Aufgaben bei der Kirche nahm sie trotzdem weiter wahr, so gut sie konnte. Verantwortung war auch in dieser Lebensphase ein Thema. „Ich habe versucht, alles so zu regeln, dass es ohne mich gut weitergehen kann“, sagt sie. Dazu gehörte, ihren Mann für den Fall ihres Todes freizugeben für neue Beziehungen und das auch mit den Kindern zu besprechen.
Eine Lungentransplantation rettete ihr das Leben, schenkte ihr neuen Atem. 2014 war das, seitdem feiert sie jedes Jahr ihren „Lungengeburtstag“, dankt dem unbekannten Spender und betet für seine Familie, die an eben diesem Tag traurig seiner gedenkt. „Ich fühle mich verantwortlich für dieses geschenkte Organ“, sagt sie. Und da ist sie wieder, die Verantwortung, diesmal von Liebe und Dankbarkeit getragen. Seitdem lebt sie noch bewusster, freut sich über jeden Tag. Geht den Weg mit ihren Kindern, erlebt ihre Schulabschlüsse, sieht, dass sie ihren Weg ins Leben finden, sich für Berufe entscheiden, Beziehungen eingehen. So vieles wäre ihr entgangen, so vieles hätte sie versäumt, wenn dieses Wunder nicht in ihr Leben getreten wäre. Ein Wunder, vielleicht geliehen auf Zeit. Denn immer noch treten Komplikationen auf, immer noch muss sie achtgeben, manchmal Mundschutz tragen, verunreinigte Räume meiden.
Verantwortlich vor Gott und den Menschen und vor sich selbst
Anders handeln – vielleicht sieht das in ihrem Fall anders aus. Nach der Operation ließ sie sich zur Prädikantin ausbilden. Prädikantin wurde sie nicht, um Lückenbüßer im dünner werdenden Pastorennetz der Nordkirche zu sein. Diese Ausbildung – das wollte sie schon immer, das wollte sie für sich. Sie freut sich über das gewonnene theologische Basiswissen und darüber, dass Altgriechisch ihr nicht noch einmal im Weg stehen konnte. Sie predigt gerne, und sie predigt gut. Themen wie Tod und Sterben spart sie nicht aus, sie begleiten sie ja im Leben, das ist spürbar. „Es kommt mir zugute, dass ich weiß wovon ich rede, wenn ich vom Leid spreche“, sagt sie. Sie legt mit Leidenschaft und aus Berufung das Wort aus, so wie sie es gelernt hat und wie es zu ihr passt, verantwortlich vor Gott und den Menschen – und vor sich selbst.